06.07.2022 13:43, Lesedauer: ca. 10 Minuten, Autor: Dominic Malzahn
Es kann sein, dass ich folgend ein Weltbild verändere – das tut mir Leid. Kann aber auch sein, dass es Ihnen vollkommen logisch und normal vorkommt oder im besten Fall, dass Sie bereits den Inhalt kennen. Dann lade ich gerne ein, nochmal etwas drüber nachzudenken.
Die meisten Konflikte und Diskussionen passieren auf einer Ebene „der Sachebene“ oder "Verhaltensebene". Hier agiert einer und ab dann wird nur noch reagiert. Auf die offensichtliche Aktion erfolgt eine beliebig lange Folge an Reaktionen.
Ein bisschen, wie die berühmten Cowboy-Duelle, bei denen einer mit dem Finger zuckt, sodass der Kugelregen starten kann. Ziemlich selten stellen wir uns die Frage des „Warum?“ Und wenn wir uns danach aus Versehen doch fragen, dann meist einmal und nicht häufiger. Okay, eine Ausnahme ist vielleicht der Beziehungsstreit.
Denn hinter dem Verhalten liegt mehr – viel mehr! Eigentlich weniger, aber das ist viel mehr.
Es ist meistens doch nicht so, dass wir am Morgen aufstehen und uns vornehmen einmal richtig mies und fies zu sein. Zumindest nicht die Meisten von uns.
Denn hinter dem offensichtlichem und unmessbar unterschiedlichem Verhalten liegen
Statement 1: „Du bist zu emotional“
Boah, hab ich das häufig gehört! Aber neben der nervigen Emotionalität eurer Kolleg*innen möchte ich gerne Emotionen in ein anderes Licht rücken: Ja, sie sind ungefiltert, ja sie kommen oftmals unerwartet bzw. überraschend und ja, sie sind teilweise auch kaum nachvollziehbar, da sie sich nicht zwangsläufig auf die konkrete Situation beziehen.
Dennoch sind sie ein Bindeglied zwischen dem, was wir tun und den inneren Wünschen, Zielen, Motiven: den Bedürfnissen.
Sie verknüpfen unser Unterbewusstsein mit den Taten.
Emotionen bilden eine Kette zwischen Hirn, Bauch, Herz und den Händen bzw. Füßen.
Mit dieser Kernaufgabe bekomme ich ein Gefühl: Man kann nicht emotional genug sein! Schon gar nicht „zu“ emotional.
Wenn diese Aussage kommt, ist es vielleicht viel mehr das eigene Unvermögen mit ihnen umzugehen, die eigene Ungeduld oder, oder, oder…
Aber damit sagen die fremden Emotionen viel mehr über die eigenen Emotionen aus, als die in der Situation empfundenen.
Und genau das macht sie noch viel wertvoller! Denn Emotionen treten ungefiltert auf – es macht puff und ich empfinde sie, ganz einfach, ganz natürlich und intuitiv. Als Coach, als Therapeut, als Führungskraft, als Papa, als Ehemann, als… in extrem vielen Rollen und Aufgaben begegnen mir Emotionen. Eine wichtige Grundhaltung ist immer und überall: Die Emotion meines Gegenübers ist richtig! Sie hat eine Aussagekraft und daher darf sie passieren. Und es ist egal, wie sie sich äußert: Als Ärger, in dem sie sich als Wutausbruch den Weg bahnt, als Rückzug und Schweigen aus Angst oder, oder, oder…
Denn, wenn es um „tiefe“ Themen geht, ist alles möglich und um die Frage zu beantworten:
Jo, dit is normal! Denn wir sind: Menschen!
Und so schnell, wie Emotionen eskalieren, genauso schnell verschwinden sie auch wieder. Im Zweifel müssen Sie nicht einmal nachbohren, sondern Ihrer Kollegin, Ihrem Kollegen ein wenig Raum zum Lüften einräumen. Aber bitte: Schalten Sie das Protokoll aus und noch eine Sache: Es gibt keine Beweise dafür, dass Emotionalität geschlechterabhängig wäre! Männer und Frauen explodieren gleich häufig ;)
Und wenn Sie nicht Begleiter, sondern Betroffener sind – dann stellen Sie sich die „Warum fühle ich so?“ Frage, sobald der Staub sich gelegt hat (Mehr in Statement 2).
Statement 2: „Ich weiß doch, warum du dich so verhältst“
Je mehr wir wissen, desto mehr wissen wir, dass wir nicht wissen.
Klingt nach Zungenbrecher, ist aber wahr! Denn Wissenschaft ist sehr häufig die Lehre der Frage und nicht der Antwort.
Ich möchte Sie in diesem Artikel ganz besonders zur Frage „Warum?“ motivieren – auch, wenn die alles andere als therapeutisch ist.
Wie oft meinen wir dass wir wissen, wieso sich unser Gegenüber auf eine ganz bestimmte Art und Weise verhält.
In meiner Vergangenheit durfte ich eine Führungskraft begleiten, deren Team ich rationalisieren sollte. Natürlich traf das nicht auf offene Augen und Ohren – sondern im Gegenteil tägliche Konflikte und Streit war die Folge.
Und was dachte ich? Altmodische unvisionäre Kuh – dachte ich. „Früher war alles besser“.
Dann habe ich mich mit ihrem Emotionen und Bedürfnissen befasst und was ich vorgefunden habe: Sie hat niemals Wertschätzung von ihren Chefs erfahren – ich hingegen schon. Plus, sie hatte natürlich Angst um ihre Kolleg*innen.
Das sind die Bedürfnisse Sicherheit, auf die sie mit Angst um ihre Leute reagiert und aber das Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung ihrer Leistung, die ich ihr (aufrichtig und ernsthaft) geben konnte, denn ihr Team war eine überlastete Massenproduktion.
Sie wollte aber unter’m Strich das Gegenteil von dem, was ich dachte!
Ich dachte, sie will mich verstoßen und verjagen, weil ich ein Hexenmeister bin – in Wirklichkeit wollte sie (auch) meine Anerkennung und Wertschätzung!
Auf dieser Ebene ließen sich die Konflikte problemlos lösen: Die bisherige Leistung ihres Teams habe ich (aufrichtig und ernsthaft) herausgestellt, aber auch herausgearbeitet, wie großartig sie sich beteiligt – denn das wollte sie: mitwirken! Und ich bekam eine großartig helfende Hand!
Und für die aufmerksamen Leser (Glückwunsch!): Das Team bekam Sicherheit vermittelt, denn wir haben mit unserer Roadmap Rücksicht auf Renteneintritte, Veränderungswünsche und das wachsende Volumen genommen und mit 1 Jahr bewusster Verzögerung entwickelt. Daher möchte ich Sie motivieren – denn es ist unendlich wertvoll und super einfach:
Wenn Sie eine Verhaltensweise Ihrer Mitmenschen wahrnehmen, die in Ihnen Gefühle auslöst, gehen Sie in die Tiefe:
1. Fragenkomplex – meine Weltsicht
Welches Verhalten löst bei mir Gefühle aus?
Welche Gefühle nehme ich wahr?
Auf welche Bedürfnisse sind diese Gefühle zurückzuführen? Was trifft mein Gegenüber?
2. Fragenkomplex – die Gegenüber-Weltsicht
Welches Verhalten nehme ich wahr?
Welche Gefühle stecken vermutlich hinter dem Verhalten?
Welche Bedürfnisse sind verletzt/erfüllt, dass diese Gefühle aufkommen?
Wenn Sie sich unsicher sind, fragen Sie!
Keiner wird Ihnen diese Frage übel nehmen!
Suchen Sie immer Lösungen auf der Bedürfnisebene. Denn schon alleine der logische Menschenverstand oder die Mathematik (die setze ich nach meinem Mathematik-Leistungskurs-Versuch niemals mehr gleich!) beweisen:
Es gibt bei 7 Milliarden Menschen vermutlich pro Sekunde mindestens 2 Milliarden Verhaltensweisen, daraus leiten sich 7-10 Basisemotionen ab und hinter diesen stecken 4 Bedürfnisse. Ich lege mich lieber mit 4 an, statt mit 2 Milliarden!
Witzigerweise tun wir in 99% der Fälle genau etwas anderes. Die Verdienstnadel sichern wir uns vielleicht, aber sinnvoll ist anders ;)
Kleiner Ausflug, weil‘s passt: Gewaltfreie Kommunikation
Schon mal gehört? Gewaltfrei kommunizieren.
Und bitte: Das Gegenteil ist keine Schlägerei, sondern eine übergriffe Kommunikation.
Die Gewaltfreie Kommunikation besteht aus genau diesen Phasen:
1. Beobachtung wiedergeben:
Beschreiben Sie aus der „ich-Perspektive“, was Sie wahrgenommen haben
z.B. Ich sehe, dass du dich gerade verschließt
2. Eigene Emotion beschreiben:
Schildern Sie Ihre Basis-Emotion, ebenfalls aus Ihrer Perspektive
z.B. das macht mich traurig
3. Eigenes verletztes / erfülltes Bedürfnis benennen:
Sagen Sie offen und ehrlich, welches Bedürfnis, warum verletzt wird
z.B. denn mir ist es sehr wichtig, dass wir eine gute Zusammenarbeit haben
4. Formulieren Sie Ihren Wunsch und Bitte
Sagen Sie, was Sie sich wünschen. Wichtig: Bitten und Wünsche dürfen abgelehnt werden! Kommen Sie in dem Fall in das Gespräch und schauen, auf welche Lösung Sie sich einigen können!
z.B. Lass uns bitte offen sagen, was wir denken – ist das okay?
Ich hoffe, dass ich Sie durch diesen Artikel etwas begeistern konnte von „mehr aufeinander einlassen und wahres Verständnis für unsere Mitmenschen entwickeln“.
Wir alle leben ein Leben in einer immer komplexeren Welt: Lassen Sie uns gut zueinander sein – wir haben es alle verdient!
Herzlichst,
Sie wünschen sich mehr Tiefe?
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